Blog - Auf dem Schreibtisch

LESE-ZEIT

Sie lesen gerade in unserem BLOG – wie wunderbar. Lesen ist eine der aufregendsten, anregendsten und für mich schönsten Beschäftigungen. Wann liest man? Was und warum liest man? Ich habe einmal im TN LOS! herumgefragt und mich nach momentaner und empfehlenswerter Lektüre erkundigt.

Bei mir begann das Lesen mit dem Zuhören. Es gehörte zum Ritual vor dem Einschlafen, dass unsere Urgroßmutter meiner Schwester und mir ein Märchen vorlas, meist aus der Sammlung der Brüder Grimm und ich konnte es kaum erwarten, endlich selbst die Buchstaben zusammensetzen zu können, um mir das Geheimnis der Wörter zu erschließen. Mein erstes Buch bekam ich von meinem Patenonkel: »Peterchens Mondfahrt« damals aus dem »Westen« geschickt. Ich habe es noch heute. Dann begann die Sucht. Unter der Bettdecke mit Taschenlampe in Geschichten eintauchend verdarb ich mir frühzeitig die Augen. Egal. Weihnachtsgeschenke waren relativ einfach für meine Eltern – es gab jedes Jahr ein Märchenbuch vom Artia-Verlag: Märchen der Völker – slowenische, italienische, persische, skandinavische, russische – brachten mich in ferne Länder und in aufregende Abenteuer. Die Welt war bunt und weit, und die Bücher führten meine Gedanken dorthin, wo ich glaubte, nie sein zu können. Später hatte ich glücklicher Weise einen Beruf, für den das Lesen eine wesentliche Grundlage war. Nur gestattete ich mir nun gar nicht mehr, außer der sogenannten stückbegleitenden Sekundärliteratur andere Bücher zu lesen. Ich bekam ein schlechtes Gewissen, wenn es nicht die Biographie eines Komponisten oder ein Buch war, welches mich in meiner Arbeit weiterbrachte. Aber immerhin, dabei waren auch Comics, wie »Maus« von Art Spiegelman oder das indische Nationalepos »Ramayna«, also eigentlich war alles gut. Beim Lesen betritt man ein anderes Universum, und es ist egal, ob es »Ulysses« von James Joyce oder »Harry Potter« ist. Inzwischen schaffe ich es auch wieder, einfach einen spannenden Krimi oder netten Roman in die Hand zu nehmen. Es geht anderen wie es mir ging, die sagen, sie haben einfach keine Zeit zum Lesen. Ja, man hat grundsätzlich zu wenig Zeit und Lesen bedeutet nun einmal, sich Zeit zu nehmen, Zeit mit etwas zu verbringen. Aber Musik und Lesen haben eines gemeinsam: sie schenken uns etwas, was die Zeit außer Kraft setzt. Durch das Verweilen in ihr geben wir der Zeit Halt und machen sie dadurch für uns wertvoll. Wer nicht liest, bleibt ein Gefangener seiner Alltagszeit. Da fällt mir spontan Byung-Chul Han's Essay »Der Duft der Zeit« ein, eine Einladung zur Kunst des Verweilens, sehr empfehlenswert.

Noch immer aber kann ich mich nicht an das digitale Lesen von Büchern gewöhnen. Ich liebe es, wenn ein Buch noch nach Druckerschwärze riecht, wenn das Blatt knisternd durch meine Hände gleitet, ich ein Lesezeichen einlegen oder mit Bleistift Randnotizen machen kann. Da bin ich einfach oldschool. Aber Sie lesen ja unseren BLOG, also – auch digitales Lesen führt zusammen.

Lesen bringt uns anderen Menschen näher, ihren Gefühlen und Gedanken, wir können uns hineinversetzen in das, was sie erlebt und erlitten haben. Wir erahnen und erspüren ein anderes Dasein. Lesen stärkt die Empathie, es ist nicht nur die Quelle von Wissen und neuen Erkenntnissen.

 

Lesen kann auch Flucht aus dem Alltag sein, es ist aber kein Ersatz für das Leben, sicher jedoch eine Erweiterung. Ein Schriftsteller stellte einmal fest, dass sich die Worte Leben und Lesen nur durch einen Buchstaben unterscheiden und beide zuallererst Resonanzphänomene seien, ein Wechselspiel aus berührt werden und darauf antworten, reagieren. Ein schöner Gedanke. Lassen Sie sich berühren. Lesen Sie. Vielleicht eines der Bücher, die auch meine Kolleginnen und Kollegen auf ihrem Schreibtisch, am Bett oder in der Reisetasche haben.

Ich habe gerade den Roman »Keller« von Christina Friedrich begonnen und die Bildhaftigkeit der Sprache nimmt mich gefangen. Die Geschichte spielt in Nordhausen kurz vor Ende des 2. Weltkrieges. Ein Mädchen, »hellsichtig, mit den Toten und Lebenden verbunden, macht sich auf den Weg durch ein verwundetes Lande. So, wie es die Welt erlebt und sein eigenes Leben darin sucht, erschafft es eine Saga.« So steht es auf dem Einband und ich könnte es nicht besser in einen Satz bringen, was die in Nordhausen geborene Regisseurin und Schriftstellerin Christina Friedrich geschrieben hat.

Renate Liedtke

Operndirektor Benjamin Prins beschäftigt gerade der Roman »Doktor Schiwago« von Boris Pasternak, der wegen seiner offenbar kritischen Darstellung der Sowjetunion sehr lange verboten war. Und sonst?

Am liebsten lese ich Kunstbücher und Künstler-Biographien, weil sie mir sowohl philosophische als auch kunstästhetische Inspiration geben, in Vorbereitung der nächsten Produktionen.

So lese ich derzeit »Tagebuch eines Genies«, die extravagante Autobiographie von Salvador Dali. Gleichzeitig entdecke ich eine ausgezeichnete Biographie von Andy Warhol: »Holy Terror« von Bob Colacello.

(Siehe Bild: Nordhäuser Fürstenhof im Charlie’s, Bild: Steffen)

Sopranistin Amelie Petrich hat folgende Empfehlung:

Ein Buch, welches ich vor kurzem gelesen habe und das ich sehr empfehlen kann, ist »Die Welt von Gestern-Erinnerungen eines Europäers« von Stefan Zweig. Stefan Zweig beschreibt in sehr schöner und eindrücklicher Sprache die Heiterkeit und Lebensfreude, die er vor dem ersten Weltkrieg in Österreich erlebt hat, von seinen Reisen durch Europa, die seine geistige Entwicklung sehr geprägt haben, sowie über wichtige Freundschaften mit Zeitgenossen und Literaten. Der Beginn des zweiten Weltkrieges markiert einen neuen Lebensabschnitt, mit dem sein unstetes Leben in Europa und sein Leben im Exil beginnen, sowie seine spätere Emigration nach Brasilien.

Ich lese sehr viel und gerne, am liebsten im Zug, in den Pausen zwischen den Proben oder abends nach der Probe, von Romanen über Biographien ist eigentlich alles dabei.

Anne-Kristin Schmidt, die im Künstlerischen Betriebsbüro arbeitet, empfiehlt ein Buch von Peter Lutz:

Früher oder später wird jeder von uns mit dem Thema »Tod« konfrontiert, einem Thema, das sooft als etwas ganz Furchtbares und Schlimmes dargestellt oder einfach tabuisiert wird. Die Folge sind Angst und Furcht davor. So ging es auch mir nach einem einschneidenden Kindheitserlebnis. Als ich nun im vergangenen Jahr im direkten familiären Umfeld erneut mit Sterben und Tod konfrontiert wurde, nahm ich es als Chance, mich mit dem Thema zu beschäftigen.

In seinem Buch »Jenseitsforschung – Gespräche mit einer Großnichte« führt der Mediziner und langjährige Notarzt im Rettungsdienst tätige Peter Lutz die bisherigen Forschungen über das Leben nach dem Tod mit seinen Erfahrungen zusammen.

Es ist wie hinter die Kulissen eines Theaterstückes zu schauen und zu erfahren, was alles dahintersteckt, wie alles miteinander zusammenhängt und nimmt die Illusion von dem, was uns auf der Bühne des Lebens gerne vorgespielt wird und nimmt damit die Illusion, der Tod sei etwas Schlimmes und Endgültiges.

Ich kann es jedem empfehlen, der Antworten auf die Frage nach dem Sinn des Lebens und des Todes sucht:

»Wenn man die Realität unseres ewigen Lebens und das >Jenseits< verstanden hat, hat man keine Angst mehr vor dem Tod (vielleicht noch Angst vor dem Sterben in Qualen) und das Leben bekommt plötzlich einen echten persönlichen tiefen Sinn! Alle, die das nicht wissen, suchen irgendeinen Sinn, Aber die Suche wird überschattet von ihrer irrigen Überzeugung, sie hätten zu wenig Zeit, weil sie mit ihrem Körper sterben müssen. Den wirklichen Sinn des Lebens können sie nicht finden.«

Chefdramaturgin Dr. Juliane Hirschmann empfiehlt »Jane Eyre« von Charlotte Brontë:

Ich habe den Roman »Jane Eyre« von Charlotte Brontë begonnen zu lesen, nachdem wir uns entschieden hatten, das gleichnamige, von diesem Roman inspirierte Musical auf unseren Spielplan zu setzen. Ich kam ein bisschen schwer rein, da der sehr blumige, manchmal etwas ausschweifende Erzählstil für mich etwas gewöhnungsbedürftig war. Jane Eyre, eine Waise, erzählt wie sie als Kind und junge Frau mit vielen Widrigkeiten aufwächst. Sie hat jedoch bereits als Mädchen eine ungemein starke Kraft in sich, sie steht bei allen Demütigungen, die sie erfährt, innerlich immer wieder auf. Sie folgt ihrem Gefühl, ihrem Instinkt und findet am Ende des Romans ihr eigenes Glück in einer Zeit, in der das für die Frauen alles andere als selbstverständlich war.

Der Roman ist ein echter »Schmöker«, lässt sich gut lesen, ist bewegend und an vielen Stellen spannend. Nicht umsonst gehört er zur englischen »Schauerliteratur«. Vor allem für die, die sich das Musical bei uns am Theater anschauen wollen, dürfte er eine schöne Ergänzung und Bereicherung sein!

Katrin Tschernatsch-Göttling ist Referentin für Öffentlichkeitsarbeit und Marketing und empfiehlt erfrischende Sommerlektüre.

»Das Leben ist wild und gefährlich. Wer sich ihm kopfüber anvertraut, gerät in einen Wirbel von Leidenschaft und Liebe.« – heißt es auf dem Klappentext von Elizabeht Gilberts Roman »City of Girls«. Und tatsächlich entführt die unterhaltsame Geschichte seine Leser in eine glitzernde, freiheitssüchtige und wilde Szenerie des New Yorks der 40-er Jahre. Die 19-jährige Hauptfigur aus der Provinz findet sich in der Welt der Bars, Musicals und verrückten »Girls« der Großstadt wieder, taucht in die schillernd-schöne Welt der Revuegirls ein und macht ihre eigenen Erfahrungen mit der Liebe während sie sich zu einer der gefragtesten Schneiderinnen der Stadt entwickelt.

Ich finde, das Buch ist ein Loblied auf die weibliche Selbstbestimmung und den Genuss des Lebens, und lässt sich wunderbar leicht als Sommerlektüre genießen. Der Schreibstil der Autorin, die mit ihrem Bestseller »Eat, Pray, Love« weltweit erfolgreich war, fasziniert mich: erfrischend und fesselnd zugleich, gespickt mit gut recherchierten historischen und gesellschaftlichen Hintergrundinfos, schafft sie es 500 Seiten wie eine Kurzgeschichte wirken zu lassen.

 

 

Melanie Voß-Inanc, Projektmanagerin am TN LOS!, wurde 2004 auf einer Pressereise von einem Journalisten ein besonderes Buch empfohlen: »América« von T.C. Boyle:

Wieder zu Hause angekommen kaufte ich mir diesen Roman und begann zu lesen… zu lesen, weil mich gesellschaftskritische Geschichten interessieren, weil sie Hintergründe aufdecken, die sonst nicht zu erfahren sind, weil Emotionen – die innere Empfindungs- und Erlebniswelt der Protagonisten in einem Buch, gerade bei T.C. Boyle, erschreckend nah beschrieben werden.

Der Roman schildert das Leben illegaler Einwanderer aus Mexiko in den USA. Diese Menschen, deren Leben in der Heimat von Armut, Arbeitslosigkeit und Gewalt geprägt ist, hoffen auf den American Dream: Sie wollen nicht nur den eigenen Lebensstandard und Sozialstatus verbessern, sondern unterstützen mit ihrem Lohn auch ihre Familien in Mexiko.

Boyle skizziert zwei extrem unterschiedliche Welten. Auf der einen Seite zeigt der Autor das Leben der illegal aus Mexiko Einreisenden, ein Pärchen – sie gerade 17 Jahre und hochschwanger – campiert in einem Canyon am Schauplatz um den Topanga Canyon bei Los Angeles. Auf der anderen Seite beschreibt er das Leben einer erfolgreichen Immobilienmaklerin mit ihrem Ehemann.

Die Verkettung der Schicksalsschläge für die Mexikaner ist tragisch und für uns Westeuropäer unvorstellbar. Das Thema Migranten, Flüchtlinge verliert nie an Bedeutung und ist immer wieder aktuell.

So lohnt es sich vielleicht doppelt, das Buch zu lesen, auch um sich wieder Dankbarkeit zu spüren, in einem sicheren Land bzw. sicheren Teil der Welt geboren zu sein.

»América« (Originaltitel »The Tortilla Curtain«); »Tortilla Curtain« bezeichnet umgangssprachlich die »durchlässige« Grenze zwischen Mexiko und den USA ist ein Roman aus dem Jahr 1995.

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