Blog - Auf dem Schreibtisch

»… ′S IST LEIDER KRIEG – UND ICH BEGEHRE NICHT SCHULD DARAN ZU SEIN!«

Man kann nicht Schweigen angesichts dessen, was in der Ukraine passiert, aber ich merke gerade, wie schwer es ist, über das Unfassbare zu schreiben. Auf meinem Schreibtisch stapeln sich die Zeitungen mit den Berichten – es ist Krieg in Europa. Diese Nachrichten machten mich erst einmal sprachlos und stumm vor Ohnmacht. Falsch, man kann, man darf dieser Invasion nicht sprachlos gegenüberstehen. Niemand in Deutschland, niemand in Europa will Krieg – dessen war ich mir sicher. Niemand will ihn nach den Opfern zweier grauenhafter Weltkriege und der durchaus begründeten Aussicht, durch Krieg eine atomare Katastrophe auszulösen. Und es ist gewiss nicht das russische Volk, das diesen Krieg führen will. Es ist der russische Präsident, der selbstherrlich Demokratie und Menschrechte mit Füßen tritt.

»… 's ist leider Krieg – und ich begehre nicht schuld daran zu sein!« heißt es in einem Gedicht von 1775 bei Matthias Claudius. Immer wieder, wenn eine Ordnung durch Krieg zerbricht, wird an diesen Text von Matthias Claudius gedacht und man könnte leider dieses über zweihundert Jahre alte Gedicht als zeitlos bezeichnen, um die Möglichkeiten der Menschen aufzuzeigen, auf das Unsägliche zu reagieren. Mit dem Appell an unser Gewissen wird der Handlungshorizont formuliert, der sich jedem einzelnen stellt. Jeder von uns, auch wenn er nicht Urheber ist, steht in einem Verantwortungszusammenhang mit den von Krieg betroffenen Menschen, sowohl denen aus der Ukraine als auch denen aus Russland, die in einen nicht gewollten Krieg gezogen werden. Jeder muss sich die Frage nach dem eigenen Tun stellen. Oft ist das Gedicht als eine Flucht in die Haltung »Ohne-Mich« gedeutet worden. Das ist es nicht, es weist die unwiderruflichen Folgen für die Menschheit auf. Es ist ein Appell an unser Gewissen. Matthias Claudius offenbarte die Gründe für Kriege: Macht- und Geldgier und Eitelkeit. Er hätte es genauso gut heute schreiben können. Er verfasste das Gedicht nicht als ein unmittelbar von Krieg Bedrohter, sondern weil er sich grundsätzlich betroffen fühlte. Das ist es, was wir unserer Ohnmacht entgegenstellen können. Wir können Farbe bekennen. Viele Theater tun dies, indem ihre Bühnenhäuser in den Farben der Landesflagge der Ukraine angestrahlt werden. Wir können protestieren mit dem, was unsere Profession ist – mit Musik, mit Kunst. Wir können zeigen, dass unsere Solidarität und unser Mitgefühl bei den Leidtragenden der Invasion sind und an alle appellieren, sich gegen diesen Krieg zu positionieren.

 

 

               

                           Kriegslied

's ist Krieg! 's ist Krieg! O Gottes Engel wehre,
         Und rede du darein!
's ist leider Krieg - und ich begehre
         Nicht schuld daran zu sein!

 

Was sollt ich machen, wenn im Schlaf mit Grämen
         Und blutig, bleich und blass,
Die Geister der Erschlagnen zu mir kämen,
         Und vor mir weinten, was?

 

Wenn wackre Männer, die sich Ehre suchten,
         Verstümmelt und halb tot
Im Staub sich vor mir wälzten, und mir fluchten
         In ihrer Todesnot?

 

Wenn tausend tausend Väter, Mütter, Bräute,
         So glücklich vor dem Krieg,
Nun alle elend, alle arme Leute,
         Wehklagten über mich?

 

Wenn Hunger, böse Seuch' und ihre Nöten
        Freund, Freund und Feind ins Grab
Versammelten, und mir zu Ehren krähten
         Von einer Leich' herab?

 

Was hülf mir Kron' und Land und Gold und Ehre?
         Die könnten mich nicht freun!
's ist leider Krieg – und ich begehre
         Nicht schuld daran zu sein!

 

Aleksandra Zubova ist Musikerin im Loh-Orchester und Russin. Auch für sie ist das »ganze Geschehen in der Ukraine sehr schmerzhaft«. Sie hat viele Freunde und Kollegen, die aus der Ukraine stammen. Ihr Mann ist ein Syrisch-Deutscher, der von 1992-1995 in Russland und danach in Deutschland Musik studierte. Er lebte während des Studiums in Moskau im Studentenwohnheim zusammen mit vielen Russen, Ukrainern und Angehörigen anderer Völker wie in einer Familie.

Sie schreibt: »… mir tut es unheimlich weh, wenn ich nur daran denke, was für schreckliches Leid meine Freunde, ihre Verwandten und das ganze Volk der Ukraine zur Zeit ertragen müssen. Genauso grausam finde ich auch das Schicksal der russischen Soldaten, die zu diesem grausamen Krieg hingeschickt wurden. Es ist so schmerzhaft, dass viele Menschen beiderseits die Tragödie des Krieges erleben müssen. Ich bin sehr traurig, dass dieser Krieg durch die Regierung des Landes angezündet wurde, in dem ich geboren wurde. Niemand hat das Recht, einen Krieg zu führen und dafür gibt es natürlich keine Entschuldigungen. Lasst uns hoffen, dass die Beteiligten, die das Sagen haben, zur Vernunft kommen, den Krieg stoppen und einen Weg zur friedlichen Welt miteinander und füreinander suchen – weit von dem Motto des nationalistischen Hasses »Entweder bist du einer von uns oder du bist ein Feind.« Ich hoffe, dass ich meine Familie und meine Freunde aus beiden Ländern: Russland und der Ukraine wieder gesund und glücklich sehen kann, und freue mich, dass ich mit meinem Ehemann und unsererTochter friedlich in Deutschland leben kann.«

Aleksandra Zubovas Fazit:» In solchen Kriegen gibt es leider nur Verlierer, und zwar alle.«

Renate Liedtke

 

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